Eine totale Ansicht zeigt verschiedene Gamingsetups. Im Hintergrund ist ein TV-Bildschirm mit einem Autorennen zu sehen. Auf einem Tisch davor sind verschiedene Controller zu sehen.
Information

Gaming und Barrierefreiheit

Ein Beitrag von Johannes Rück von Spawnpoint, dem Institut für Spiel- und Medienkultur in Erfurt.

Weitere Informationen zum Institut Spawnpoint findest Du hier.

Wer spielt was?

Das Spielen von Videospielen ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung von vielen Menschen. Die Gruppe derer, die sich leidenschaftlich mit Games beschäftigen ist vielfältig. Mehr als die Hälfte aller Deutschen (54%) spielt digitale Spiele – auf dem PC, der Spielkonsole oder dem Smartphone, bzw. Tablet. Auch wenn knapp 90% der 16- bis 29-Jährigen digitale Spiele spielen, ist Gaming kein exklusives Thema für eine junge Zielgruppe. Das Durchschnittsalter der Gamerinnen und Gamer in Deutschland steigt seit Jahren und liegt mittlerweile bei 39 Jahren. Ungefähr 8,2 Mio., also knapp 20% der deutschen Videospielbegeisterten sind Menschen mit Behinderung. Bei stetig steigendem Durchschnittsalter, ist davon auszugehen, dass der Anteil der Spielenden mit Behinderung zunimmt.

Artikel zum Hören:

0:00 0:00

Warum wird gespielt?

Im Kontrast zu Zahlen und Statistiken steht das Spiel an sich und die Spielkultur. Analoges und digitales Spielen bedeutet weit mehr als nur Unterhaltung. „Echtes“ Spielen ist eine freie Handlung, erlaubt das Ein- und Abtauchen in andere (Spiel-)Welten abseits des gewöhnlichen Lebens, unterliegt bestimmten (Spiel-)Regeln, kann der Erholung dienlich sein und Menschen zusammenbringen. Diese Merkmale betreffen nicht nur digitale Spiele, schließlich hat sie Johann Huizinga bereits um 1938 zusammengetragen. Die Spielmotivation greift Melanie Eilert, Aktivistin für Inklusion im Gaming, auf und unterstreicht die Bedeutung von Computerspielen als Ablenkung, bspw. für Menschen, bei denen chronische Schmerzen zum „gewöhnlichen Leben“ dazugehören (Eilert 2020, S. 209–210).

Ein Gamingsetup wird von einer Person bedient. Im Hintergrund ist ein TV-Bildschirm mit einem Autorennen zu sehen. Auf einem Tisch davor sind verschiedene Controller zu sehen.
© Institut Spawnpoint/Johannes Rück
Ein Jugendlicher nutzt den Xbox Adaptive Controller um ein Rennspiel zu spielen

Beim Gaming geht es häufig um mehr

Rund um das Videospiel, welches seit 2008 in Deutschland als Kulturgut gilt, hat sich Gamingkultur angereichert. Hierzu zählen Online-Gemeinschaften (Communities) rund um Videospiele oder andere gamingrelevante Themen, wie etwa Computer-Hardware oder VR-Brillen. Um Streamerinnen und Streamer bilden sich häufig ebenfalls Communities, für welche sie Videos (Lets Plays, Machinimas, Sketche, Beiträge, Spieletest, etc.) rund um das Thema Gaming erstellen oder auf speziellen Plattformen wie Twitch live übertragen, wenn sie selbst spielen. Gamerinnen und Gamer mit Behinderung sind in jenen Communities auch vertreten, organisieren und tauschen sich zudem in speziellen Communities rund um Gaming mit Behinderung aus. Auch Streamer und Streamerinnen mit Behinderung, wie der Deutsche WheelyWord übertragen ihre actionreichen Mehrspieler-Partien im Netz. Wohingegen der blinde SteveSaylor viel Aufklärungsarbeit zu inklusivem Gaming leistet und Funktionen für Barrierefreiheit aktueller Videospiele einordnet.

Mit der Aufzählung weiterer Dimensionen wie dem "Modding", also dem Modifizieren von Hard- oder Software, eSports und FanFiction, wird klar, dass es beim Gaming selten nur ums Zocken geht.

Die Bandbreite der Themen die Videospiele verhandeln und der Geschichten, die sie interaktiv erlebbar machen, wächst kontinuierlich. Abseits der populärsten Entertainment-Shooter, Fußball- und Rennspiele thematisieren heutige Games unter anderem Traumata im Spiel "Hellblade: Senua’s Sacrifice" oder in der "Life is Strange"-Reihe. Letzteres setzt einen weiteren Schwerpunkt bei den Themen Identität, Beziehung und Empowerment. Prekäre Lebensbedingungen, staatliche Machtstrukturen, Krieg und Moral werden in Spielen wie "This war of Mine" oder "Papers Please" erlebbar gemacht. "It Takes Two" stellt Kommunikation und Kooperation in den Mittelpunkt, "ABZÛ" zeigt die Verbundenheit zu Natur und Umwelt auf.

Bislang wird das Thema Behinderung in Videospielen selten und dann oft sehr oberflächlich dargestellt. „Die meisten behinderten Charaktere haben gemeinsam, dass ihre Behinderung im Verlauf der Handlung geheilt wird. Meist passiert dies in einer schmerzhaften Operation oder durch einen quälenden magischen Eingriff. So wird vermittelt, dass eine Behinderung grundsätzlich etwas Schlechtes ist, das es, selbst unter sehr großen Schmerzen, aus der Welt zu schaffen gilt. Darüber hinaus werden Behinderungen oder Hilfsmittel behinderter Menschen auch gerne als Horror-Element genutzt“, so Melanie Eilert im Handbuch Gameskultur.

Auch wenn in Bezug auf Repräsentanz von Behinderung in Videospielen noch Luft nach oben ist, hat sich im Kontext Barrierefreiheit und Gaming in den letzten Jahren einiges getan. Bei den Video Game Awards – vergleichbar mit den Oscars – werden aktuelle, herausragende Titel ausgezeichnet. Neben den (frei übersetzten) Kategorien „Beste Story“ oder „Bestes Action Spiel“ werden auch die größten Innovationen der Barrierefreiheit prämiert. Eine ähnliche wertschätzende oder motivierende Kategorie für Videospiele fehlt beim hiesigen Äquivalent, dem Deutschen Computerspielpreis, bislang.

Barrierefreies Gaming

Videospiele spielen zu können, ist heute so einfach wie noch nie. Oft müssen nicht einmal für den Kauf die heimischen vier Wände verlassen werden. Ein Klick auf „Download“ in den digitalen Einkaufsläden großer Plattformen wie Xbox (Microsoft), Playstation (Sony) oder Steam (Valve) genügt, sodass einige Zeit später das virtuelle Abenteuer starten kann. Der technische Fortschritt hat hier viele Barrieren rund um komplexe Installationsprozesse und Treiber-Aktualisierungen abgebaut.

Assistive Technologie

Ein Videospiel wird durch Eingaben der Spielenden zu einem interaktiven Erlebnis. Der PC wird meist über Maus und Tastatur und die Spielkonsole über einen Spielcontroller bedient. Wenn es Spielenden nicht möglich ist über diesen standardisierten Zugang zu spielen, kann von mangelnder Barrierefreiheit gesprochen werden. Im Idealfall können Gamerinnen und Gamer auf Individuallösungen, auch bekannt als assistive oder unterstützende Technologien, zurückgreifen. Diese umfassen sowohl Software- als auch Hardwarelösungen, wie beispielsweise Screenreader zum Vorlesen von Textinformationen oder alternative Eingabegeräte wie Spezial-Joysticks, Computermäuse, welche mit dem Mund bedient werden oder Augensteuerungen. Es ist zu beachten, dass allein die Anschaffung, Einrichtung und Wartung dieser Lösungen einen erheblichen Mehraufwand darstellen und damit zusätzliche Barrieren schaffen kann. Assistive Technologien sind höchst individuell. Da hilft es zum einen, wenn sie, wie die angesprochenen barrierefreien Game-Controller, in einem hohen Maß auf die Spielenden anpassbar sind. Zum anderen hilft es, wenn Spielende mit Behinderung diese Controller im Vorfeld testen können. In manchen großen Elektronikmärkten besteht hierzu die Gelegenheit.

Auf einem Tisch werden drei verschiedene barrierefreie Gamingcontroller in der Draufsicht gezeigt. Jeder Controller ist individuell gebaut, sodass Barrieren bei klassischen Gamingcontrollern abgebaut werden.
© Institut Spawnpoint/Johannes Rück
Der Playstation Access Controler (links) und der Xbox Adaptive Controller unterscheiden sich deutlich im Bedienkonzept. Rechts ist ein selbstgebauter Joystick zu sehen, der am Playstation und Xbox Controller angeschlossen werden kann.
Ein Screenshot aus einer virtuellen Welt oder einem Computerspiel zeigt drei Personen. Zwei von ihnen sind komplett blau, eine andere ist komplett rot. Sie stehen/bewegen sich in einem grauen, dunklen Raum.
© Sony
In "The Last of Us" können Verbündete und Gegner farblich hervorgehoben werden.

Entwicklungen im Bereich Barrierefreiheit

In den letzten Jahren hat sich in Bezug auf Inklusion im Gaming einiges getan. Die großen Konsolenhersteller Microsoft und Sony haben mit dem Adaptive Controller (für PC und Xbox; ca. 90€, Stand 2025) und dem Access Controller (für Playstation; ca. 90€, Stand 2025) barrierefreie Gaming-Hardware veröffentlicht, die ohne aufwändige Installation ein hohes Maß an Individualisierung bieten. Der dritte große Konsolenhersteller Nintendo hat keinen barrierefreien Controller im Angebot. Die Controller sind in Teilen modular veränderbar und lassen sich über anschließbare Taster an die Fähigkeiten der Gamerinnen und Gamer anpassen. Wenn Spielende beispielsweise nur eine Körperseite nutzen können, lassen sich alle Taster des Controllers entsprechend anordnen: die Taster für das Beschleunigen und Bremsen werden vor dem linken Fuß platziert, der Joystick zum Lenken liegt in der linken Hand, mit einem Taster auf der Armlehne kann in den Rückspiegel gesehen werden und ein Taster an der Kopfstütze löst den Turbo-Boost aus. Videospiele haben sich in ihrer Programmierung und Anpassbarkeit ebenso weiterentwickelt. "The Last of Us" ist für viele Gamer ein Meilenstein der Videospielwelt. Damit sich möglichst viele erwachsene Menschen auf jenes digitale Abenteuer begeben können, haben die Entwicklerinnen und Entwickler eine große Vielfalt an Funktionen für Barrierefreiheit eingebaut. Am Entwicklungsprozess waren Menschen mit Behinderung umfassend beteiligt.

Zwei barrierefreie Joysticks stehen auf einem Tisch nebeneinander. Einer davon in auf einem Klettband befestigt, damit der Joystick nicht verrutscht.
© Institut Spawnpoint/Johannes Rück
Im barrierefreien Maker-Space in Erfurt wurde ein Joystick entwickelt und mit dem 3D-Drucker ausgedruckt. Der Joystick kann an die barrierefreien Controller von Xbox und Playstation angeschlossen werden. Die Materialkosten liegen unter 5€.
Auf einem Tisch liegen viele bunte Kabel, welche zur Programmierung von Mini-Computern genutzt werden. Als Unterlage dient ein selbst gezeichneter Bauplan. Die Kabel verbinden einen Laptop mit verschiedenen Elementen, die einen selbstgebauten Controller darstellen.
© Institut Spawnpoint/Johannes Rück
Einhandsteuerung mit dem makeymakey

Was bietet Thüringen?

Für Menschen aus Thüringen gibt es den barrierefreien Maker-Space des Institut Spawnpoint in Erfurt als Anlaufpunkt. Vereinzelt besteht in Bibliotheken und Jugendfreizeiteinrichtungen die Chance die assistiven Controller zu testen.

Im barrierefreien Maker-Space in Erfurt stehen Besucherinnen und Besucher sowie Gaminginteressierte mit Werkbänken und 3D-Druckern weitere Möglichkeiten zur Verfügung Eingabegeräte mit medienpädagogischer Unterstützung selbst anzupassen.

Für die aktive Bildungsarbeit bieten Gaming und Barrierefreiheit vielfältige Anknüpfungspunkte. Selbstgebastelte Taster können mit steckbaren Kabeln an die kleine Platine "makeymakey" angeschlossen Werden. Von einem Computer wird diese als Tastatur erkannt. Innerhalb weniger Minuten kann so assistive Technologie im Eigenbau entstehen. Mit barrierefreier Gaming-Hardware können pädagogische und kulturelle Einrichtungen mit ihren Videospiel-Angeboten noch mehr Teilhabe ermöglichen. So wird eine Gaming-Station – etwa im Rahmen eines Tages der offenen Tür – zu einem digitalen Abenteuer für alle.

Eine totale Ansicht zeigt verschiedene Gamingsetups. Im Hintergrund ist ein TV-Bildschirm mit einem Autorennen zu sehen. Auf einem Tisch davor sind verschiedene Controller zu sehen.
© Institut Spawnpoint/Johannes Rück
Die barrierefreie Gamingstation ermöglicht allen Videospielbegeisterten Teilhabechancen durch gemeinsame digitale Abenteuer.

Fazit

Barrierefreies Gaming zeigt, wie stark digitale Medien dazu beitragen können, echte Teilhabe zu ermöglichen. Dieses Teilhabe-Potential kann von pädagogischen Fachkräften in schulischen und außerschulischen Einrichtungen gehoben werden. Für diese Zwecke sind sie schon seit Jahren gut vernetzt und kooperieren untereinander auf allen Ebenen. Abseits des eigenen Netzwerkes benötigen Fachkräfte eine funktionierende Infrastruktur und eine langfristige berufliche Perspektive um Orte wie den Maker-Space erhalten zu können.

Wenn es gelingt, solche Räume nachhaltig abzusichern und weiterzuentwickeln, entsteht ein Umfeld, in dem Inklusion nicht nur gedacht, sondern konkret erfahrbar wird – und in dem Gaming zu einem Praxisfeld wird, das Menschen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen verbindet.

Weitere Artikel