Interview

Zwischen Knethaken und KI

Wie Künstliche Intelligenz unsere Lernkultur verändert

In einer Welt, in der ChatGPT genauso selbstverständlich zum Alltag gehört wie der Thermomix oder das Onlinebanking, stellt sich die Frage: Was bedeutet das für unser Lernen? Dr. Jana Hofmann von der Universität Erfurt bringt es im Gespräch mit unserer Redaktion auf den Punkt: „Lernen beginnt im Herzen, führt über den Verstand und endet in der Handlung.“ Und genau da, sagt sie, wirkt Künstliche Intelligenz – als Katalysator.

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Junge Frau mit blonden Haaren, Name: Dr. Jana Hofmann, tätig als sissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Kindheit und Jugend in digitalen Bildungswelten an der Universität Erfurt

Dr. Jana Hofmann

Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Kindheit und Jugend in digitalen Bildungswelten an der Universtität Erfurt

Wir brauchen keine neuen Kompetenzmodelle, sondern Erfahrungsräume, in denen Menschen einander zeigen, was sie mit einer KI tun können – und was sie lieber lassen sollten. Das Stichwort einer KI-Kompetenz lautet für mich: Best Practice. Kein Kompetenzmodell, bei dem alle nur draufschauen und denken: Okay – und was mach ich jetzt konkret damit in meinem Unterricht?

Sinnvoll lernen – oder gar nicht

Menschen nutzen nur, was für sie Sinn ergibt. Diese Sinnhaftigkeit entsteht rückblickend, in der Gegenwart – und in der Vorstellung der Zukunft. Die KI wird dann ein Werkzeug, wenn sie sich als nützlich erweist, wenn sie den Alltag erleichtert oder neue Möglichkeiten eröffnet. So wie ein Knethaken beim Kuchenbacken. Oder eben ChatGPT beim Französischaufsatz.

Lernen ist ein zutiefst subjektiver und sozial geprägter Vorgang – eingebettet in Lebensläufe, Umfelder und Biografien. In ländlichen Regionen wie dem Eichsfeld zeigt sich das besonders deutlich: Dort, wo wenig Ablenkung herrscht, entsteht oft eine tiefe Technikaffinität – nicht trotz, sondern gerade wegen vermeintlicher Abgeschiedenheit.

KI als Lernpartner

ChatGPT und Co. sind keine Lehrer im klassischen Sinne, betont Dr. Hofmann. Aber Lernpartner, die nie müde werden, stets freundlich bleiben und Komplexität auf ein verständliches Maß reduzieren. So kann Künstliche Intelligenz emotionale Zugänge eröffnen (etwa durch positive Verstärkung), kognitive Strukturen fördern (zum Beispiel durch strukturierte Zusammenfassungen) und handlungsorientiertes Lernen ermöglichen (etwa durch Soforthilfe bei Alltagsfragen oder Schulaufgaben).

Allerdings ersetzt eine KI keine Opernbesuche, sagt Dr. Jana Hofmann mit einem Lächeln. Die emotionale Tiefe echter Begegnungen, das gemeinsame Lachen, das Teilen von Erlebnissen mit Anderen – das bleibe analog. Die KI kann begleiten, aber nicht vollständig ersetzen.

Ein junger Mann sitzt in einem modernen Lernumfeld neben einem humanoiden Roboter. Beide betrachten gemeinsam ein Buch – symbolisch für KI als Lernpartner.

Kompetenzentwicklung passiert ohnehin

Auf die Frage, ob Bildungseinrichtungen nun gezielt eine „KI-Kompetenz“ fördern müssten, antwortet Dr. Hofmann klar: „Nein, da sie sowieso entsteht.“ Pädagogik sei immer reaktiv, nie prophetisch. Wirkliche Kompetenz entwickle sich nicht durch starre Modelle oder Checklisten, sondern durch Erfahrungsräume. Was es braucht, sind Plattformen, auf denen Menschen einander erzählen, was funktioniert – und was nicht.

Dieses Machen ist der Schlüssel zur sinnvollen Anwendung von Künstlicher Intelligenz:

  • Wenn ein Lehrer in Nordhausen zeigt, wie man mit einer KI ein digitales Lernspiel baut.
  • Wenn eine Studentin in Erfurt erklärt, wie man fehlerhafte Literaturzitate vermeidet.
  • Wenn ein Komponist in Jena beschreibt, wie er seine Musik mit Hilfe von KI mastert.

Dann entsteht echte Kompetenz.

Grafik des pädagogischen Dreiecksmodells nach Johann Heinrich Pestalozzi mit den Dimensionen Kopf (Kognition), Herz (Emotion) und Hand (Handeln), dargestellt als Zielscheibe mit drei Pfeilen.
© napkin.ai

Pädagogik braucht neue Haltungen – keine neuen Konzepte

Wenn KI unser Lernen verändert, dann muss sich auch die Rolle des Bildungspersonals wandeln. Nicht durch standardisierte Fortbildungen oder neue Curricula, sondern durch eine veränderte Haltung. Lehrkräfte, Dozierende und andere pädagogisch Tätige sind zunehmend gefragt, KI nicht als Bedrohung, sondern als Erweiterung ihres Werkzeugkastens zu verstehen – und ihre Praxis entsprechend anzupassen.

Dr. Jana Hofmann betont: „Wir müssen nicht alles selbst wissen – aber wir müssen offen dafür sein, was andere schon erfahren haben.“ Es geht um eine Kultur des Teilens, um Erfahrungsräume, in denen Bildungsakteure voneinander lernen – nicht nur Inhalte, sondern auch Haltungen, Strategien und Irrtümer. Wer mit Neugier, Gelassenheit und einer gewissen Demut an das Thema herangeht, wird die KI als das nutzen können, was sie sein kann: eine Partnerin auf Augenhöhe, kein Ersatz für echte Begegnung – aber eine wertvolle Ergänzung.

KI verändert das Lernen – aber wir gestalten es

Künstliche Intelligenz verändert unser Lernen nicht oberflächlich, sondern grundlegend: Sie ermöglicht es, schneller durch Uninteressantes zu navigieren – und tiefer in das einzutauchen, was wirklich zählt. Doch Lernen beginnt nicht bei der Technik, sondern im Herzen: mit Bedeutung, Sinn und Motivation.

KI ist kein Lehrer, sondern ein Lernpartner, der Struktur, Feedback und Orientierung bieten kann – aber echte Begegnung nicht ersetzt. Pädagogik muss darauf nicht mit neuen Konzepten reagieren, sondern mit einer veränderten Haltung: offen, erfahrungsbasiert und praxisnah.

KI-Kompetenz entsteht durch Nutzung, nicht durch Modelle. Was es braucht, sind Räume für Austausch, Fehler und gelungene Beispiele – nicht starre Checklisten. Bildung wird nicht abgeschafft, sondern erweitert. Und immer gilt: Der Mensch entscheidet, was sinnvoll ist. Die KI hilft – aber wir gestalten.

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